Blog-Eintrag -

Yes you can! Intrapreneurship in der Digitalen Transformation der Finanzbranche

Die digitale Transformation ist für Banken und Versicherungen kein technisches Upgrade, keine weitere intelligente Stufe der Automatisierung mit Chatbots, Apps und immer neuen Wegen der digitalen Zahlungsabwicklung. Sie ist ein neues Paradigma für Märkte, Unternehmen und Geschäftsmodelle. Sie stellt Gewissheiten, Gewohnheiten und Routinen in Frage, die bisher häufig das Selbstverständnis und Geschäftsmodell einer Branche ausmachten – und sie beginnt mit einer radikalen Änderung des strategischen Denkens und Handelns.

Fintechs und das Münchhausen-Dilemma der Finanzbranche

Die Wucht der Transformation und der Veränderungsdruck in der Finanzbranche verschaffen neuen Playern wie den Fintech-Startups und den neuen digitalen Plattformherausforderern wie Google, Apple oder Amazon strategische Vorteile: Sie sind entweder klein, flexibel und auf digitale Nischen fokussiert, die sie schneller erschließen können, als viele etablierte Player, oder sie sind selbst digitale Geschäftsmodelle, die spielend finanztechnische Mosaiksteinchen wie digitale Zahlungsmethoden oder Algorithmen für individualisierte Finanzprodukte integrieren können. Die neuen Herausforderer sind keine „besseren Finanzinstitute“. Sie nutzen einfach die flexible digitale Überholspur in einem Markt mit relativ festen Strukturen und spielen ihre Vorteile aus: Kreatives Innovieren, kundennahe Entwicklung, schnelles Lernen und Verändern und flexible Reaktion auf Marktveränderungen – alles branchenferne Methoden- und Technologiekompetenzen, keine Fachkompetenz für Finanzprodukte – und doch werden hier die Standards für die Branchenzukunft gesetzt.

Für viele Banken und Versicherungen schafft die Digitalisierung so ein mehrdimensionales Dilemma von Münchhausen’scher Dimension:

Wie sollen sich Banken und Versicherungen am eigenen Schopf aus dem Sumpf der Veränderungsnotwendigkeiten ziehen? Wie sollen ausgerechnet die etablierten Organisationen, Denkweisen und Geschäftsmodelle das neue digitale Paradigma für die eigene Zukunft entwickeln? Wie sollen kreative Ideen, Gründermut, Initiativgeist, Experimentierfreude und Pionierverhalten innerhalb genau der Strukturen entstehen, die eben genau das bisher kaum zugelassen hatten? 

Das digitale Lernmomentum der Transformation

Neues Denken und Handeln lässt sich nicht „par ordre du Management“ verordnen. Es muss zu einer Kultur und Denkweise werden, die von Mitarbeitern gelebt und vorangetrieben wird. Wie alle Veränderungen trifft sie zunächst auf ein schwieriges kulturelles und psychologisches Umfeld: Veränderungen sind per se zunächst Stressfaktoren. Je weniger Erfahrung Mitarbeiter mit Veränderungen haben, desto stressiger werden sie empfunden. Je geringer die Einbeziehung der Mitarbeiter, desto größer sind die Unsicherheiten und Widerstände. Auch verbreitete Vorurteile über die digitale Veränderung schaffen Reaktanz, eine mehr oder minder offen ausgelebte Abneigung gegen Neues. In der Regel treffen Veränderungspläne zunächst auf eine skeptische Mehrheit der Mitarbeiter: Rund die Hälfte ist zunächst entweder reserviert oder ablehnend, etwa ein Drittel abwartend und lediglich rund ein Siebtel von sich aus offen für Neues (vgl. auch Geoffrey A. Moore: Crossing the Chasm). Gleichzeitig lässt sich aus dieser psychologischen Konstellation eine Art Faustformel für eine erfolgreiche digitale Transformation ableiten: Mitarbeiter dort abholen, wo sie im Geiste und motivational stehen, Verständnis für die Notwendigkeiten des Wandels schaffen, interne Perspektiven einbeziehen und vor allem: Das vorhandene Potenzial an Kreativität, Unternehmergeist, Lernbereitschaft und Engagement zu wecken – von dem in der Regel viel mehr vorhanden ist, als in den klassischen Organisations- und Denkstrukturen sichtbar wurde.

Intrapreneurship: Neues Denken denken – und handeln

Das Konzept des Intrapreneurship klingt auf den ersten Blick paradox: Mit den Methoden des Startup Building soll der Unternehmergeist der Mitarbeiter innerhalb der bestehenden Strukturen und Denkmuster geweckt und als Innovationskraft und -beschleuniger für die digitale Transformation genutzt werden. Prominentes Vorbild sind dabei nur bedingt die „Jungen Wilden“, die Gründer von Fintech und Insurtech-Unternehmen. Der Datengigant Google selbst liefert eine Blaupause, wie die Gründerdynamik auch in globalen Unternehmen geweckt werden kann: Die großen Ideen, wie beispielsweise die Grundkomponenten des autonomen Automobilprototypen oder dem superschnellen Netzwerk Google Fiber, wurden nicht von kongenialen Wissenschaftlern in verborgenen Labs ersonnen, sondern nach dem Prinzip eines methodisch ausgefeilten Trial and Error entwickelt: Google gestattet auch als Weltkonzern seinen Mitarbeitern in definiertem Rahmen das Verwirklichen eigener Ideen, unterstützt die Entwicklung und das Testen von Prototypen neuer Anwendungen oder Services. Das Grundverständnis ist dabei geradezu entgegen gesetzt zu klassischen Innovationsverfahren: Statt der Entwicklung eines Masterplans von Oben herab oder gar aus der Abteilung Technik werden möglichst viele verschiedene Ansätze entwickelt, die entlang eines vielschichtigen Prozesses aus Förderung, Forderung und Filtern entweder immer weiter vorangetrieben und verbessert oder eben konsequent wieder eingestellt werden. Erfolg und „Scheitern“ sind dabei Lerneffekte, die das Unternehmen Nutzer, Märkte und Technologien immer besser verstehen lassen und ihm so nützen. Paradoxer Weise ist gerade die Möglichkeit der Mitarbeiter, mit ihren Projekten zu „scheitern“, ein wesentlicher Teil der digitalen Erfolgsformel von Google. Nur wer die Sicherheit hat, dass sich sein Mut, seine Initiative und seine Bereitschaft, Neues nonkonform zu denken und umzusetzen, nicht gegen ihn selbst richtet, ist in der Lage, große neue Ideen zu entwickeln.

Die Möglichkeit der Mondlandung

Intrapreneure können nicht ernannt oder „geschult“ werden. Sie werden geweckt und entwickelt. Dafür ist vor allem eines wichtig: Die zumindest punktuelle Befreiung von etablierten Hierarchien, Prozessen und expliziten oder sozialen Incentivierungsmustern im Unternehmen:

  1. Sandboxes: Unternehmen müssen „Sand Boxes“ schaffen, exterritoriale Gebiete des Denkens und Experimentierens, in denen Mitarbeiter mit der Sicherheit eines Angestelltendaseins ihre eigene Unternehmerpersönlichkeit entdecken und ausprobieren können. Je nach Beschaffenheit können dies eigene Labs oder Inkubatoren, Events nach neuen Denkmustern wie Hackathons oder seltener – weil viel schwieriger und aufwändiger – eigene Parallel Tracks im Unternehmen sein.
  2. Ideation: Die Entwicklung neuer Ideen ist kein rein rationaler Prozess, sondern vor allem ein neues Verständnis für Nutzerbedürfnisse, wirklicher Problemstellungen und kreativer neuer Perspektiven darauf, also keine gedankliche Weiterentwicklung bestehender Systeme, sondern ein bewusster Bruch und Neuansatz. Diese so genannte Ideation führt Mitarbeiter durch ein kreatives Szenario, mit dem verschiedene Perspektiven, Thesen oder Produktideen erarbeitet werden können, von der digitalen Neuerfindung des bestehenden Produkts oder Geschäftsmodells bis hin zu so genannten „Moonshots“, den disruptiven großen Ideen, den neuen Mondlandungen der Unternehmensentwicklung.
  3. Agiles Prototyping: Selten überlebt die ursprüngliche Idee eines Gründers bis zur Marktreife. Je früher Fehler erkannt und die Idee entsprechend angepasst wird, desto geringer sind Kosten und desto besser kann aus Fehlern und Erfolgen gleichermaßen gelernt werden. Auch für Intrapreneure ist es deshalb extrem wichtig, Ideen schnell zu testen, anzupassen oder gegebenenfalls sogar zu beenden. Agiles Prototyping schafft viele Ideen und Konzepte, die schnell und konsequent getestet und ausgesiebt oder weiterverarbeitet werden. „Fail-fast“ ist hier eine Erfolgsformel, die beispielsweise über Design sprints aus vielen Versuchen, Tests und Experimenten wenige, dafür haltbare Modelle generiert. Auch die eigene Rolle der Mitarbeiter kann sich im Verlauf dieser agilen Herangehensweise ändern, auch dafür muss die Mentalität geschaffen werden.
  4. Leadership Commitment: Der Führungsebene kommt bei Intrapreneurprojekten eine entscheidende Rolle zu – wenn auch anders als häufig gewohnt: Einerseits lässt sich per Definition Unternehmergeist eben nicht verordnen, andererseits verlangt der notwendige Befreiungsakt von bestehenden Denk- und Handlungsmustern nach selbstbewussten und konsequenten Führungspersönlichkeiten. Sie sind die Signalgeber und die Ermöglicher für neue Freiheiten bei der Projektverwirklichung. Durch ihre Entscheidungen und ihr eigenes, sichtbares Verhalten innerhalb einer Unternehmenskultur sind sie die Wegbereiter und Türöffner für Intrapreneursprojekte genauso wie für den kulturellen Wandel im Unternehmen. Ihr Umgang mit Fehlern anderer beispielsweise ist der Indikator für die Fähigkeit des Unternehmens, mit Unternehmern in den eigenen Reihen überhaupt umgehen zu können. Auch ein entsprechendes „experimentelles Budget“ gehört zu diesen mutigen Führungsentscheidungen.
  5. Kulturelle Integration: Die anspruchsvollste Aufgabe für erfolgreiche Intrapreneurship-Programme ist die „Wiedereingliederung“ in Kultur und Alltag einer Organisation. Ausgerechnet hierfür gibt es keine allgemeine Blaupause des Vorgehens, weil die Veränderungsbereitschaft von der bestehenden Kultur eines Unternehmens abhängt. Die entscheidende Zielgruppe sind hier die eigenen Mitarbeiter. Je besser sie auf den Weg des Wandels mitgenommen worden sind (siehe Lernmomentum), desto erfolgreicher wird auch der Wandel hin zu mehr Initiative und Eigenverantwortung. Die Lernkurve richtet sich nach dem Erfolg der Pionierprojekte und ihrer internen Vermittlung als neue Rollenmodelle.

Nicht jeder Mitarbeiter eignet sich als Unternehmer. Nicht jedes Projekt muss wie ein Startup-Konzept verwirklicht werden. Die Digitale Transformation schafft jedoch eine Gewissheit: Wer es nicht schafft, sich selbst zu verändern, sich in Teilen neu zu erfinden, der wird verändert werden – und nicht immer zu seinem Vorteil.

Den vollständigen Artikel finden Sie auch auf unserer Website.

Links

Themen

  • Geisteswissenschaften

Kategorien

  • expertennetzwerk
  • trendanalyse
  • research

Kontakt

Anja Mutschler

Pressekontakt GF GF, PR 0341 / 424 82 101

Zugehörige Meldungen