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Wie tickt der Konsument von heute? Fragen Sie den Prosumenten, liebe Marktforscher!

Kosteneffizienz ist in der Marktforschung der falsche Weg!

Ja, die digitale Gesellschaft stellt Verbraucher und Anbieter vor eine Menge neuer Herausforderungen. Die Entwicklung verläuft schnell, aber nicht reibungslos – das gilt für den Ausbau der digitalen Infrastruktur, das Internet der Dinge, neue Formen der Meinungsbildung, das Internet als Lebensraum und viele andere Bereiche. Ob sich das menschliche Handeln und Empfinden in neuen Kommunikationsräumen wie sozialen Medien eigentlich verändert, ist jedoch umstritten.

Für die Forschung zu Märkten, Trends und Verbrauchern ist wichtig: Wenn sich Formen der Kommunikation verändern, müssen sich auch Untersuchungsmethoden verändern – die klassische Marktforschung ist im Umbruch, wie am Umgang der Verbraucher mit klassischen Befragungsmethoden abzulesen ist.

Der britische Marktforscher Ben Leet schrieb in der Marketingzeitschrift Absatzwirtschaft, dass sich Teilnehmer an Umfragen der Marktforschung online inzwischen anders verhielten, als klassische Modelle das abbilden können. Sie fassen Fragen anders auf und machen aus ganz anderen Gründen mit. Angesichts der Flut von höchst heterogenen Online-Surveys seien viele Verbraucher inzwischen abgestumpft. Die Marktforschung gehe aber immer noch davon aus, dass die Befragten alle Fragen akkurat und wahrheitsgetreu beantworten. Leet widerspricht: Jüngste Erkenntnisse weisen darauf hin, dass immer mehr Befragte Fragebögen höchstens überfliegen oder wahllos Antworten auswählen, wenn es zu viele Antwortmöglichkeiten gibt.

Dies wirft grundlegende Fragen zur Ausrichtung quantitativer Marktforschung auf. Die Marktforschung kann hier von der empirischen Sozialforschung lernen. Diese kennt das Problem der geringen Akzeptanz von Surveys seit langem.

Eine Einsicht: Während die empirische Sozialforschung mit vielen methodischen Schwächen inzwischen gut umgehen kann, leidet die Qualität von Marktforschung derzeit sehr stark, weil sie sich mit ernstzunehmenden Fehlerquellen nicht ausreichend auseinandersetzt. Warum?

Die Antwort hat mit Budgetstrukturen und mit der enormen Zahl von Online-Surveys zu tun.

Onlinebefragungen werden günstiger. Das ist ein Problem.

Laut der Branchenstatistik des Arbeitskreises Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute (ADM) stieg der Umsatz der Marktforscher 2015 um 4,4% Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf gut 2,5 Mrd. Euro. 

Quantitative Umfragen bleiben dabei das wichtigste Mittel, 2015 umfassten sie 91% der Aufträge. Neu in der Statistik sind seit 2015 außerdem Datenanalysen, die den Anteil von qualitativen Befragungen weiter schrumpfen lassen. Aber auch die quantitativen Befragungen finden bereits zu 34% im Internet statt. Quantitative Befragungen – besonders Onlinebefragungen – werden also kontinuierlich einfacher durchzuführen und günstiger.

Über die Gründe lässt sich spekulieren. Eine mögliche Ursache ist ein strukturelles Preisdumping: Marktforscher sparen, indem sie Instrumente immer stärker standardisieren, immer weniger Geld in die Konzeption von Befragungen investieren und immer weniger Ressourcen auf die Zielgruppenadaption und die Analyse verwenden. Das erhöht die Konkurrenzfähigkeit, geht jedoch enorm zulasten der Ergebnisqualität.

Der Prosument hat den Konsumenten längst ersetzt – das muss methodische Konsequenzen haben

Es ist verlockend, Studien zu konzipieren, die auch mit geringen Budgets eine größtmögliche Anzahl von Befragten erreichen. Aus diesem Blickwinkel ist es konsequent, verstärkt quantitative Onlinestudien durchzuführen.

Aber es gibt methodische Alternativen, die das Kosten-pro-Probanden-Paradigma in Frage stellen. Soziale Netzwerke und andere digitale Räume bieten mehr als nur kurze Kommunikationswege zu möglichst vielen Probanden. Vielmehr bilden sie soziale Räume, mit eigenen Regeln, Handlungsoptionen und Wahrnehmungsfiltern, die bisher noch zu schwach erforscht sind. Der Wandel vom Konsumenten als Prototyp hin zum Prosumenten muss auch methodische Konsequenzen haben. Die Markt- und Sozialforschung muss stärker nach Motivationen und unbewussten Sinnstrukturen in digitalen (sozialen) Räumen fragen.

Das ist die Stärke qualitativer Settings, deren Bewertungsmaßstab nicht die Masse der Befragten, sondern die intensive Analyse von latenten Sinnstrukturen ist.

Es braucht daher einen verstärkten Einsatz sogenannter Mixed Methods. Das sind Erhebungsdesigns, die die Stärken qualitativer und quantitativer Forschung geschickt kombinieren und sich auf individuelle Bedürfnisse und Anforderungen von Zielgruppen einstellen. Dies kann in der Praxis bedeuten, statistische Verfahren mit qualitativen Befragungen wie gruppen- oder problemzentrierten Interviews zu kombinieren. Besonders der qualitative Aspekt ermöglicht einen Blick auf Zielgruppen und Diskurse, der viel weniger von Vornherein festgelegt ist als die quantitative Marktforschung und digitale Räume und ihre Besonderheiten besonders gut berücksichtigen kann. Er kann nach dem Spezifischen des aktiven Prosumenten fragen, der den passiven Konsumenten längst abgelöst hat.

Michael Nitsche ist Medienwissenschaftler und Philologe. Seine Forschung und Lehre konzentrieren sich auf digitale Medien in Bildungskontexten, Medienpädagogik und Game Studies.

Umsatzzahlen der Marktforschung aktualisiert am 30.12.2016.


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