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Wie konservativ ist "der Fortschritt"? - Expertenbeitrag zum Mythos Fortschritt

„Fortschritt“ ist für die meisten Menschen ein permanentes Offen-Sein für Neues: neue Technologien, neue Formen des Zusammenlebens, neue Optionen. Fortschritt heißt, wir holen etwas ein, was eben noch in der Zukunft lag. Aber ist das wirklich so?

Wer genau hinschaut, muss zu dem überraschenden Ergebnis kommen: Fortschritt ist eigentlich etwas sehr Konservatives.

Wie kann das sein? Machen wir eine Bestandsaufnahme: Zur Idee des Fortschritts gehört das Ziel, durch möglichst rationale Mittel möglichst viele Menschen möglichst glücklich werden zu lassen. Die Spannweite dieser Mittel ist groß: Demokratie schafft Beteiligungsmöglichkeiten, Liberalismus zeugt von Toleranz, Industrialisierung und Digitalisierung schaffen Arbeitsplätze und sichern den Lebensstandard ab, Massenmedien sorgen für Unterhaltung. All das gehört zu unserem fortschrittsfreundlichen Alltag.

Allerdings ist fast nichts davon wirklich neu. Das meiste gehört zur Grundausstattung der Moderne und entstand zwischen 1750 und 1850. Der deutsche Historiker Reinhart Koselleck nannte diese Zeit die „Sattelzeit“. Wie auf einem Bergsattel ging man laut Koselleck um 1800 von einer Sphäre in eine andere über.

Zur Moderne gehört seit 200 Jahren eine bestimmte Vorstellung von uns und der Welt. Wir nehmen an, dass wir die Welt durch umfassende Rationalität immer besser machen können.

Der „Fortschritt“ ist also kein alternativloses Geschehen, dem wir uns unterordnen müssen. Er ist eher ein orientierendes Programm, das vor etwa 250 Jahren erdacht wurde und sich als Ideal des „Westens“ etabliert hat.

Überraschend ist vor allem, dass zu diesem Programm heute eigentlich ein konservatives Denken gehört: Der „Fortschritt“ ist ein wichtiger gesellschaftlicher Kitt geworden, der den „Westen“ zusammenhält. Seine Aufgabe ist heute vor allem, uns Orientierung zu stiften und uns Selbstvergewisserung zu ermöglichen. Mit einem Wort: Der „Fortschritt“ ist zum Mythos geworden, zu einer großen Story, die wir einander erzählen, um unsere eigene Kultur zu bewahren.

Wenn wir den „Fortschritt“ nicht als Naturgesetz, sondern als unsere eigene, spezifische Weltsicht betrachten, können wir in Zeiten der digitalen Globalisierung unsere Handlungsspielräume im interkulturellen Kontakt genauer einschätzen.

Unser Experte

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