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​Was will entstehen? – Trendforschung zwischen Technikglaube und Human Factor

Freundliche und aufgeräumte Räume empfangen uns im Hamburger Office von Trendone. Der Raum ist heller als der Himmel draußen an diesem trüben Hamburger Donnerstag. Für ein Treffen von Visionären ein schönes Bild.

Disruption ist das Schlagwort der Trendforschung. Und man findet es bei diesem Netzwerktreffen ironischerweise in der Präsenz der guten alten Sitten. Der Zukunft Zugewandte hören einander aufmerksam zu, während sie an Müsliriegeln knabbern. Das Interagieren und Dialogisieren gelingt in der kleinen Runde außerordentlich gut. Dabei treffen die Mitglieder der altehrwürdigen PDMA (Product Development and Management Association) und ihrer jungen Schwester LaFutura sich hier zum ersten Mal. Es ist wieder faszinierend zu sehen, wie ein komplexes System aus Stimmungen, Emotionen, sozialer Intelligenz und guter Erziehung in ein Gruppenerlebnis mündet. War dies schon immer so und wird es auch immer so bleiben?

Gestern, heute und morgen sicherlich. Aber wie sieht es übermorgen aus? Passenderweise fordert Nils Müller von Trendone uns auf, uns an den Händen zu nehmen und die Augen zu schließen, während wir zu groovigem Sound auf eine Zukunftsreise mitgenommen werden. Wir „landen“ im Jahr 2025. Das Händchenhalten ist mir zugegebenermaßen ein bisschen biblebelt-mäßig; es bringt das Problem der Zukunft von heute aber auf den Punkt: Werden wir in zehn Jahren einen Roboter neben uns stehen haben und den auch an die Hand nehmen?

Und wenn ja, wollen wir das dann auch?

Die Trends in der Technologie, die der Zukunftsforscher aus den internationalen Laboren mitgebracht hat, zeigen eine von Automatisierung und Robotik geprägte Welt: Nach Müller ist 2025 unser Alltag durchdigitalisiert und unsere Smartphones und Wii-Geräte erscheinen uns dann wie heute die Schallplattenspieler unserer Kindheit. Müller hat eine sprechende Barbie und eine etwa 30 cm hohe Röhre namens „Alexa“ mitgebracht, die einer physischen Vorstufe von „Her“ gleicht, dem Computerwesen im gleichnamigen Film. Liebeskummer ihretwegen (wie im Film) wird wohl (noch) niemand haben, aber die Vision eines intelligenten Dialogpartners leuchtet schon realistisch auf. Ich lasse mir hinterher erklären, dass dies auf Männer wohl inspirierend wirkt. Ich überlege, ob es dann wohl mehr oder weniger Missverständnisse zwischen Männern und Frauen geben wird.

Noch krasser als im Smart Life des Einzelnen wirkt die Präsenz von Robotern im beruflichen Alltag – schon gibt es ein Hotel in Japan, in dem nur humanoide Roboter arbeiten. Dieser Trend wird laut Müller viele Arbeitsphären durchdringen. Wer hier nicht ins Nachdenken gerät, tut es spätestens bei der Zahl von 18 Millionen Arbeitsplätzen, die die Technologisierung der Arbeit fordern könnte.

Der Autor und Gründer von TheLivingCore,Andreas Kulick greift das in seinem Vortrag auf, in dem er feinnervig bemerkt, dass diese 18 Millionen dann natürlich nicht, wie heute Usus, „vor dem Fernseher geparkt“ werden dürften. In bemerkenswerter Dichte erzählt Kulick eine Mentalitätsgeschichte des Fortschritts, die – nach der Allgegenwart der Roboter zugegebenermaßen wohltuend – auf die eigentliche Kraft des Menschen (in seiner Individualität) hinweist: also auf seine Kreativität und auf seine schöpferische Gestaltungsfähigkeit. Oder anders gesagt: auf seine Fähigkeit, aus Ordnung Chaos und daraufhin eine neue Ordnung entstehen zu lassen. Kulick gelingt es leichthändig, die großen Fragen des Wollens aufzugreifen, ohne dystopisch zu werden:

Ja, wir wollen die Zukunft. Aber wir wollen den Prozess gestalten.

Vor dem in vielen Filmen und Büchern beschriebenen Punkt, an dem die Maschine schlauer ist als der Mensch (die sog. Singularität), fürchten sich viele. Aber – die technischen Probleme, die ein selbstfahrendes Auto oder ein reger Drohnenverkehr oder das Hacking von gechipten Menschen mal beiseitegelassen – die Hoffnung, dass uns davor rechtzeitig etwas einfällt, ist nicht unbegründet. Unternehmen täten gut daran, so schließt Kucklick, zu fragen: "Was will entstehen". Und mit Kulicks These einer Menschheit, die sich ihrer ureigenen schöpferischen Instinkte wieder mehr widmen kann, entsteht eine Vision von mehr statt weniger Freiraum. 

Der Mensch kann vieles gleichzeitig sein.

Was Marteen Leyts von Trendwolves in seinem Vortrag über Young Consumers erhellend darstellt, sind die Bezüge der „Jugend“ (die, wenn man sich umschaut, bei manchen mittlerweile gern mal bis 40 geht) zu popkulturellen Bezügen: Bist Du Katniss Everdeen oder (noch) Harry Potter? Zombie oder (noch) Vampir? Framily oder (noch) Familie? (Framily ist eine Familie, die auch aufgrund eines starken Netzes aus Freunden besteht) Wie er zeigt, stehen in den verschiedenen Subgruppen verschiedene Aspekte wie „Connectivity“ oder „Sex“ im Vordergrund.

Fürs Marketing eine wichtige Information ist, eröffnet es vor dem Hintergrund der Trendforschung noch eine weitere Dimension: In der Analyse des Sozialen zeigt sich (in der Regel) die Verschränkung von Trend und Gegentrend. Einer LOOOOL-Gruppe, die Marken mit witzigem Quatsch erreichen, stehen die „No Hopes Left“ gegenüber, denen man mit düsteren Motiven nahekommt. Die einen finden einen Roboter in ihrer WG „voll funny“, die anderen würden ihn mit grimmiger Intelligenz umprogrammieren.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass „Robo“ als Alleshelfer der nächste gemeinsame Nenner aller Menschen ist – immerhin erschien auch das jetzt (im innovatorischen Sinne) vom Sony-Chef für tot erklärte Smartphone vor zehn Jahren für die Mehrheit noch utopisch. Die Beschleunigung des Fortschritts, das klang in allen Vorträgen und Gesprächen durch, ist eminent. Und dies lässt eine Zukunft, in der eine digitaloptimierte Arbeits- und Alltagswelt mit unserer schöpferischen Individualität ringt, an diesem Nachmittag greifbar nahe erscheinen.

Und dann gibt es ein Bier, und die Organisatoren des Nachmittags, Sascha Eschmann (future flux), Nils Müller (Trendone) und Dr. Stefan Kohn (Deutsche Telekom AG), zeigen sich hernach freudig und erschöpft zugleich.

Freudige Erschöpfung: Wie würde dies eigentlich bei einem Robo aussehen?

Zukunftsforschung machen Menschen für Menschen. Zukunftsforscher meinen, dass die Zukunft im Großen und Ganzen besser sein wird als die Vergangenheit, weil unser Leben schöner, einfacher und insgesamt lebenswerter wird. Das ist mir nach diesem lehrreichen und unterhaltsamen Nachmittag klarer als vorher. Zweifellos sehnt sich niemand in eine Fabrik des 19. Jahrhunderts zurück. Die Vielgestalt des Menschen ist aber vielleicht der beste Garant dafür, dass wir Zukunft auch gestalten können - mit sorgfältiger Zukunftsforschung, mit einem Wissen um Disruption und dem Mut, Trends und Gegentrends zu verorten. 

Anja Mutschler von NIMIRUM

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