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100% Schönheit: Wie Europas Milchbauern in China reüssieren (Ländercheck, Folge 1)

Seit 2013 liest man immer wieder ähnliche Schlagzeilen: Das Milchpulver in deutschen Drogeriemärkten werde knapp, und schuld sei ein vermehrter Verkauf nach China. In der öffentlichen Debatte um Milch in China findet vermutlich nur ein anderer Umstand noch größere Beachtung, nämlich die weit verbreitete Laktoseintoleranz der Chinesen. Diese beiden eigentlich sehr widersprüchlichen Wahrnehmungen prägen das Bild, das sich viele Deutsche vom Milchkonsum in China machen. Doch wie sieht es wirklich mit dem Verhältnis der Chinesen zur Kuhmilch aus?

Zunächst einmal: Ja, es gibt Studien, die nahelegen, dass ein Großteil der Chinesen tatsächlich an einer Laktoseintoleranz leidet. Das bedeutet jedoch nicht, dass Chinesen grundsätzlich gesundheitliche Beschwerden zu befürchten haben, wenn sie Milch zu sich nehmen: Vielmehr trifft dies nur auf etwa ein Drittel der Bevölkerung zu. In allen anderen Fällen führt lediglich ein übermäßiger Genuss von Milch zu Symptomen wie Unwohlsein oder Bauchkrämpfen. Darüber hinaus enthalten fermentierte Produkte wie Käse oder Joghurt meist ohnehin keine Laktose, da der Milchzucker bereits durch die Milchsäure abgebaut wurde.

An dieser Unverträglichkeit muss der Export von Milchprodukten nach China also nicht scheitern. Warum muss es nun aber Milchpulver aus Deutschland sein? Die Ursache liegt in verschiedenen Lebensmittelskandalen, bei denen im Milchpulver chinesischer Hersteller Belastungen durch Schadstoffe gefunden wurden. Der größte Skandal brachte 2008 den Tod von sechs Kindern in China mit sich.

Diese Meldungen erschütterten das Vertrauen der Chinesen in einheimische Milchprodukte. Gerade Produkte deutscher und schweizerischer Hersteller (z. B. der Marke Hipp) gelten in China als besonders sicher und gesund. Der gestiegene Bedarf in China führte so weit, dass in Deutschland vielerorts die Bestände an Babymilchpulver leergeräumt wurden, um sie im Internet an chinesische Eltern weiter zu verkaufen.

Doch nicht nur das Milchpulver aus Deutschland wurde in China zum Verkaufsschlager – Milchprodukte aus Europa gelten generell als sicherer. Prognosen vom Mai 2015 berechneten die Einfuhr von H-Milch nach China auf 350.000 Tonnen noch im selben Jahreszeitraum; 63 % davon stammten im Jahr 2014 aus der EU. China ist somit Deutschlands wichtigster Abnehmer von Milch außerhalb der EU. Die hohen Qualitäts- und Umweltstandards der deutschen Milchindustrie überzeugen die verunsicherten chinesischen Verbraucher.

Da Milch ein typisches Produkt europäischer Länder ist, haftet ihr in China ein gewisses Flair von Fortschritt und Modernität an. Besonders bei jungen Chinesen in den Großstädten sind gesüßte Milch-Tees (frisch zubereitet oder als Fertigpulver) derzeit ein angesagter Trend. Aber auch in Form von Fastfood (wie dem Cheeseburger oder Softeis) schaffen es Molkereierzeugnisse immer wieder auf den Speiseplan der Chinesen. Allerdings gehören Flüssigmilch, Butter oder Käse nicht zu den traditionellen Lebensmitteln in China, da kein Brot gegessen wird und diese Zutaten auch nicht zum Kochen verwendet werden.

Milch wird also als Genussmittel, sogar als Luxusprodukt gesehen. Chinesische Verbraucher zahlen zwischen 1,50 und 3,50 Euro für Milch aus Deutschland und überreichen sie sogar Freunden und Verwandten als Gastgeschenk. Sie dient nur Kindern als Grundnahrungsmittel und gehört ansonsten nicht in den Ernährungsalltag der Chinesen.

Der größten Beliebtheit erfreut sich Milch bei gut situierten Städtern als Lifestyle-Produkt, unter jungen Studierenden und in der urbanen Mittelschicht. Auf dem Land nimmt der Konsum zwar zu, aber die meisten Menschen können sich dort die teure importierte Milch nicht in großen Mengen leisten.

Misstrauen oder Mode?

Auffällig ist die statistische Ambivalenz, die den Milchverzehr in China umgibt: Nach den USA ist China weltweit bereits der zweitgrößte Markt für Milch. Dennoch gehört der Pro-Kopf-Verbrauch von Milch in China noch zu den niedrigsten auf der Welt. Neben der Laktoseintoleranz, dem Misstrauen in die eigene Milchindustrie und den entsprechend hohen Preisen für importierte Milch kann der geringe Konsum auch darauf zurückgeführt werden, dass Milch eben nicht zu den traditionellen Lebensmitteln in China zählt. Lediglich einige nomadische Minderheiten wie z. B. die Tibeter oder Mongolen in Nordchina trinken schon immer in größeren Mengen Milch.

Das generelle Image von Milchprodukten in China ist aber positiv. Milch gilt als nahrhaft und gesund – sogar als so gesundheitsfördernd, dass einige Chinesen glauben, Medikamente erzielten eine bessere Wirkung, wenn sie mit Milch anstelle von Wasser eingenommen werden. Gesundheitsberater müssen daher im Internet von dieser Methode abraten. In Anlehnung an die chinesische Medizin wird Milch übrigens warm getrunken. Auch in der Kosmetik wird Milch zur äußeren Anwendung genutzt und weckt aufgrund der weißen Farbe Assoziationen von Reinheit und Schönheit.

Trotz der stetig wachsenden Einfuhr von westlichen Milchprodukten kam es im Laufe des Jahres 2014 überraschenderweise zu einer Trendwende: So brach die Nachfrage nach westlichen Molkereierzeugnissen plötzlich ein. Die Gründe liegen in Regulierungsproblemen der chinesischen Milchwirtschaft, aber auch in der schwächelnden Konjunktur Chinas: Bis 2014 war die chinesische Milchproduktion so stark angekurbelt worden, dass ein Überangebot die Preise für einheimische Milch drastisch sinken ließ. Wegen des schwächeren Wirtschaftswachstums in China greifen chinesische Vertreiber und Konsumenten nun vermehrt auf die sehr preiswerten eigenen Milchprodukte zurück. Da die chinesischen Milchpreise weiter sinken, werden nur noch die nötigsten Mengen an Milch eingeführt.

Dennoch ist langfristig mit einem deutlichen Wiederanstieg der Importzahlen westlicher Molkereierzeugnisse zu rechnen. Ein Grund liegt in der Abschaffung der Ein-Kind-Politik Ende 2015: So ist es Paaren nunmehr erlaubt, zwei Kinder zur Welt zu bringen. Die erneut ansteigende Nachfrage soll dem Pekinger Landwirtschaftsministerium zufolge im Jahre 2020 bereits eine Importmenge von 15,8 Millionen Tonnen Milchprodukten zur Folge haben – das wäre 43% mehr als im Jahr 2015. Ob sich diese Prognose bewahrheiten wird, hängt natürlich auch davon ab, ob chinesische Mütter ihre Babys in Zukunft wieder vermehrt stillen werden: So laufen in China derzeit Kampagnen, die die Mütter von der weit verbreiteten Praxis abraten, ihre Kinder nur mit Kuhmilchprodukten zu füttern. Da chinesische Mütter jedoch häufig berufstätig sind und nur wenige Monate Elternzeit nehmen dürfen, wird der Bedarf an importiertem Milchpulver notgedrungen wachsen.

Erkenntnisse und Handlungsoptionen

Chinesische Milch ist also gegenwärtig sehr billig – ganz im Gegensatz zu eingeführten Molkereierzeugnissen, die nach wie vor als Luxusware gelten. Um in Zukunft auf dem chinesischen Markt bestehen zu können, müssen deutsche Milchwaren für den chinesischen Konsumenten erschwinglicher werden.

Da chinesischer Milch häufig künstliche Zusätze beigefügt werden, die das Misstrauen der Verbraucher erregen, sollten deutsche Milchproduzenten mit der Reinheit ihrer Produkte werben. So wäre z. B. ein sichtbarer Hinweis auf der H-Milch-Verpackung hilfreich, dass es sich um „100% natürliche Milch“ handelt. Angaben zum prozentualen Fettgehalt von Milch, wie sie auf deutschen Tetra Paks üblich sind, stiften in China hingegen leicht Verwirrung: So könnten chinesische Käufer irrtümlicherweise annehmen, es handelte sich hierbei um den Milchgehalt, weil auf chinesischen Milchpackungen kein Hinweis auf den Fettgehalt ins Auge springt. Gleichzeitig sollten deutsche Milchexporteure mit der hohen Qualität und Reinheit ihrer Erzeugnisse und den eingehaltenen Umweltstandards werben. Auf diese Weise wird der Absatz deutscher Milchprodukte in China auch in Zukunft eine Chance haben.

Zur Person: Dr. Johanna Lüdde ist Sinologin mit mehrjähriger Lehr- und Forschungserfahrung an einer staatlichen Universität in China. 2011 veröffentlichte sie ihre Doktorarbeit über eine Feldforschung zu chinesischen Christen in Deutschland, für die sie einen Dissertationspreis erhielt.

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