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Future of Mobility: Future of E-Mobility?

Dieselgate und Wahlkampf: Die Mobilität der Zukunft ist derzeit in aller Munde… Im Lichte der Klimapolitik, der Digitalisierung und veränderter Nutzerverhalten steht derzeit alles auf dem Prüfstand – mit, wie einige finden, absurden Folgen. Insbesondere dem Verbrennungsmotor „geht es an den Kragen“. Aber sind die florierenden Visionen einer emissionsarmen, intermodalen Welt mit autonomen Fahreinheiten für alle überhaupt realistisch? Marschieren wir strammen Schritts in eine Welt ohne Stau und Unfälle?

Die Vision ist klar: Die neue elektronische Antriebstechnik soll mit den digitalen Kommunikationsmöglichkeiten neue Betriebsformen gemeinschaftlich genutzter Fahrzeugflotten ermöglichen – Carsharing und Ridesharing, (fahrerlos) sich zum Nutzer bewegende Mietautos, die Vermietung des eigenen Autos oder auch der Ausbau flexibilisierter Mitfahrmöglichkeiten. Und in der Tat gibt es erste Erfolgskonzepte, gerade Leipzig ist federführend an neuen Mobilitätskonzepten beteiligt , um die städtische Bevölkerung intermodal und emobil miteinander zu verknüpfen. 

Eine interessante Beobachtung ist, dass zu einer neuen Mobilitätskultur Vernetzung und E-Mobilität unmittelbar zusammen gehören, obwohl sie sachlich nichts miteinander zu tun haben: Vernetzt sind derzeit ja vor allem die Autos mit klassischen Verbrennungsmotoren, wohingegen das E-Mobil möglicherweise gerade denjenigen anspricht, der eher skeptisch gegenüber einem Auto ist, das ungefragt die Sitzheizung anmacht, weil die Sensoren eine Abkühlung des Allerwertesten vernommen haben. Sachlich also müssen diese beiden Trends der Mobilität, Elektromobilität und Vernetzung, überhaupt nicht zusammen betrachtet werden (von dem dritten Trend, dem autonomen Fahren ganz zu schweigen): De facto werden sie, Stand heute, meistens vermengt. Diese Vermischung von nicht zusammengehörigen, aber eben „neuen“ Phänomenen ist allerdings nicht selten in solchen Phasen, in der ein lange vor allem fachlich diskutiertes Trendthema mehr oder weniger abrupt in der breiten Gesellschaft anbrandet – bis sich alle schlau gemacht haben, dauert es eben seine Zeit.

Bleiben wir beim derzeitigen Hype-Thema Elektromobilität, fällt einiges auf:

  1. Es fehlen systematische Studien zur breiten Anwendung von Elektromobilität; alle bisher veröffentlichten Studien, auf die sich auch die Debatte kapriziert, untersuchen eine eher urbane und eher gutverdienende Schicht, in der das E-Mobil als Lifestyle-Accessoire funktionieren kann. Für eine verkehrspolitische Entscheidung ist das jedoch zu wenig – auch die Landbevölkerung oder Pendler benötigen Lösungen.
  2. Der Verbrennungsmotor ist nicht automatisch die schlechtere Lösung: sowohl was die mobile Reichweite als auch was die emissionsarme Herstellung angeht, sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass diese Energie, zumal mit den derzeitigen Forschungen zu besseren Einspritzsystemen, auch klimapolitisch eine gute Figur machen kann. In der Ökobilanz rechnet sich ein E-Mobil dank komplizierter Herstellung übrigens erst nach 80.000 km.
  3. Nach wie vor fehlt eine Infrastruktur, die die politischen Ziele überhaupt umsetzen kann: Wartung und Ladestationen bleiben ein großes Problem.
  4. Ebenso wenig ist geklärt, woher der Strom eigentlich kommen soll, wenn die meisten Autos mit elektrischem Antrieb fahren? Einige Experten gehen davon aus, dass absolute Menge und notwendige Flexibilität des verfügbaren Stroms den Betrieb von Kernkraftwerken unabdingbar macht. Beißt sich die Katze hier in den Schwanz?
  5. Ungeklärt ist auch, wie viel handelspolitische Häme aufseiten der USA und China in der Debatte um Dieselgate eigentlich stecken. Während die etablierten deutschen Automobilhersteller bei Verbrennungsmotoren einen Know-How-Anteil von 60 Prozent haben, sinkt dieser Wert bei den Elektromotoren auf 15 Prozent – und auch die werden eher in Kooperation mit neuen Mobilitätsdienstleistern geschaffen als in den eigenen Forschungslaboren.
  6. Die Speicherproblematik ist bei (eigentlich allen neuen Energieformen wie auch der Elektromobilität) immer noch nicht lösbar. In Israel wagte das Unternehmen „Better Place“ einen Feldversuch. Aber selbst im überschaubaren Israel mit seinem dichten Städtenetz und durchschnittlicher Fahrtdistanz unter 70 km am Tag scheiterte „Better Place“: mangelnde Auswahl beim Fahrzeug, hohe Anschaffungskosten und eine unzureichenden Koordination mit Tank- und Servicestellenbetreibern. Es fällt schwer sich vorzustellen, dass diese Probleme in Deutschland an irgendeiner Stelle geringer wären.

Am aussichtsreichsten erscheint derzeit eine Kombination aus nahräumlicher Elektromobilität, also im Stadtgebiet, in dem die tägliche Reichweite unter 100km liegt und fernräumlichen Angeboten, Busse, Autos, Bahnen, die konventionelle Motoren nutzen.

Diese intermodalen Konzepte sind in der Tat diejenigen, die Experten für die aussichtsreichsten halten - eine geschickte Kombination verschiedener, in ihrer jeweiligen Stärke eingesetzten Fahrmittel - für die jeweils passende Klientel. Einen nutzerbezogeneren Ansatz in der Mobilitätsforschung und -Politik fordern auch unsere beiden befragen Mobilitätsexperten: der Verkehrssoziologe aus Frankfurt/Main, Alfred Fuhr und Dr. Gunter Heinickel aus Berlin, lange Jahre in der wissenschaftlichen Mobilitätsforschung heimisch. Das Interview der beiden erscheint als “Audioboost”, also Podcast, zur Eröffnung der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA).

Völlig ungeklärt erscheint zurzeit die Haltung der Bürger zum Thema. Was wollen sie? Wo wollen sie hin? Neben der erwähnten „urbanen Elite“, für die Mobilität Teil eines Lebenskonzeptes ist (wobei schon die Toleranz gestresster Eltern mit einem Auto, das morgens nicht anspringen will, gering sein dürfte), gibt es eine Vielzahl von Menschen, die sich bewegen müssen. Augenfällig wurde dies nicht zuletzt am Beispiel der Evakuierung von Frankfurt am 2./3. September 2017. Unser Interviewpartner Fuhr war unter den Kurzzeit-Nomaden - es war für ihn das beste Beispiel für die Komplexität heutiger Mobilität: auf der einen Seite die Pflegebedürftigen, die mit viel Aufwand verlegt werden mussten, auf der anderen Seite die Verweigerer, die ihren Logenplatz auf die Evakuierungsstelle nicht verlassen wollten. Auch ein “sich bewegen müssen” kann also verschiedene Erscheinungsformen haben - darüber eine einzige (E-)Lösung zu stülpen, erscheint, wie Fuhr und Heinickel im Interview bekräftigten mehr eine “Ingenieursphantasie” als ein realistisches Mobilitätskonzept. Die derzeit flottierenden Entwicklungskonzepte drohen deshalb, große und wichtige Fragen für diejenigen auszublenden, die direkt betroffen sind von ihnen. Ein treffendes Beispiel ist die missverständlich zusammengeworfene Entwicklung des „vernetzten und autonomen“ Fahrens ausgedrückt. Spricht dies nicht zwei völlig verschiedene Bedürfnisse hinsichtlich des Mobilseins an?

Denn:

  • Einerseits sollen Fahrer und Mitfahrer im Fahrzeuginnenraum durch die Selbststeuerung der Fahrzeuge neue Möglichkeiten freier Interaktion erhalten.
  • Andererseits kompromittiert das explodierende Angebot an elektronischen Fahrassistenten – als Vorstufe zum autonomen Fahren – die Erlebnismöglichkeit des Selberfahrens.

Der Autonomie im Fahrgastinnenraum steht also die wachsende Taktnotwendigkeit mit der Außenumgebung gegenüber: die individuelle Fahrweise muss immer enger auf die anderen Verkehrsteilnehmer und die Verkehrsinfrastruktur abgestimmt werden. Die Selbststeuerung als wesentliche Motivation im Individualverkehr wird damit stark begrenzt – „Freude am Fahren“ muss völlig neu definiert werden. Und zugleich wird die individuelle Bewegung im Verkehr penibel dokumentiert und überwachbar: Die schon bekannten Privacy-Probleme der Telekommunikation werden so auf die geographische Bewegung übertragen

Klar ist, dass die Mobilität der Zukunft kein Thema mehr ist, bei dem sich einige Verkehrsexperten infrastrukturell die Köpfe zerbrechen. Bis allerdings die Bevölkerung als gesamtes eingebunden und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden, erscheint es noch ein langer Weg zu sein.

Eine längere Version dieses Artikels erscheint in Kürze auch als Teil eines Whitepaper im Rahmen unseres Themenboosts zur Zukunft der Mobilität.

Den vollständigen Artikel finden Sie auch auf unserer Website.

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Anja Mutschler

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