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Eine (wahre) Geschichte der Fake News

Fake News sind Gerüchte

Das Spiel mit Unwahrheiten durchzieht die Geschichte der Menschheit. Wer Unwahres in die Welt setzt, streut Gerüchte. Fake News sind Gerüchte. Drei Beispiele, die das breite Spektrum illustrieren: Der römische Kaiser Nero ging vor allem an übler Nachrede und Gerüchten zugrunde und wurde nicht durch einen Staatsstreich beseitigt, sagte schon der römische Geschichtsschreiber Tacitus. Der Antisemitismus sei nichts anderes als das „Gerücht über die Juden“, stellte der Philosoph Theodor W. Adorno im Hinblick auf die Propaganda-Taktiken der Nationalsozialisten fest. Und schließlich ist bei der Yellow Press, einer Unterart des Journalismus, die Streuung von teils völlig frei erfundenen Geschichten zu einem Geschäftsmodell avanciert, das davon lebt, seinen dankbaren Lesern jede Woche völlig frei erfundene Scheidungen, Todesfälle und Schwangerschaften der Adelshäuser und Stars zu beschreiben oder tatsächliche Vorfälle zu entstellen; die Auflagen halten sich stabil im Millionenbereich.

Gerüchte im Fokus der Forschung

Gerüchte sind ein „Grenzgebiet wissenschaftlicher Forschung“. Die Untersuchung ist schwierig, denn die Inhalte der mitgeteilten Aussagen bleiben oft vage, und sie sind im Hinblick auf ihren Umfang, ihre Zielrichtung, die Geschwindigkeit ihrer Verbreitung und auch ihre Wirkung schwer greifbar. Auch eine einigermaßen einheitliche Definition des Gerüchts gibt es bisher nicht. Die zahlreichen, teils sehr komplexen Ansätze zu seiner Erforschung gehen allerdings alle davon aus, dass Gerüchte unbewiesene Feststellungen sind, die die Menschen bewegen und interessieren (ausführlich Merten und Langner). Die Inhalte müssen nicht wahr sein. Gerade ihr oft spektakulärer Charakter, ihre Negativität und ihre teils grauenhaften Züge garantieren die weitere Verbreitung und das Überleben im gesellschaftlichen wie medialen Diskurs. Die Gefahr des Gerüchts besteht in der Tatsache, dass Menschen eher ihm glauben als den ihm gegenübergestellten Fakten, die das Gerücht mit den Mitteln der Vernunft zum Erliegen bringen sollen. Die Krisenkommunikatoren Andreas Frädrich und Marcel Vollmer betonen, dass das Gerücht nicht starr ist, sondern „wie ein Virus“ mutiere. „Bestimmte Details werden vernachlässigt, andere Aspekte werden übertrieben oder mit Stimmungen, Meinungen oder Vorurteilen des Überträgers eingefärbt. Ein Gerücht kann sich demnach innerhalb eines Lebenszyklus verändern oder sogar zu einer völlig anderen Aussage führen.“

Social Media ohne Gerüchte?

Dank Internet und Social Media verbreiten sich Gerüchte immer schneller. Gerade die Kerneigenschaften der Social Media machen diese zum perfekten Nährboden für Gerüchte: Auf Facebook und Twitter geht es darum, schnell an Inhalte zu kommen, sie ohne Zeitverzögerung zu bewerten, zu kommentieren und zu teilen. Das geht, weil Kontroll-Mechanismen fast völlig fehlen, die es in der analogen Welt leichter gemacht haben, eine Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden.

Im persönlichen Gespräch lassen Körpersprache und Mimik des anwesenden Gegenübers oft darauf schließen, wie ernst ihm seine Aussage ist. Im Netz strömt eine prinzipiell unbeschränkte Menge von Informationen auf den Einzelnen ein. Der Leser hat eigentlich kaum noch die Gelegenheit, den Wahrheitsgehalt einer Nachricht zu überprüfen, und er wird es auch tendenziell nicht für nötig halten, wenn diese im Gewand einer (vielleicht allerdings gefälschten) vertrauenswürdigen Nachrichtenseite daherkommt. Dieses Problem haben auch Journalisten, wenn sie schnell aus „gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zitieren.“

Für die Einschätzung, ob es sich bei einer Meldung um die Wahrheit handelt oder nicht, ist nicht in erster Linie der Inhalt, sondern die Glaubwürdigkeit der Quelle ausschlaggebend. Dass es die Newsalgorithmen von Plattformen wie Facebook und Google dem Leser erlauben, die Meinungs- und Nachrichtenvielfalt des breiten Medienspektrums auszublenden und nur die Inhalte zu rezipieren, die ihn interessieren (Stichwort: Filterblase), sorgt dafür, dass die Kriterien für Glaubwürdigkeit sich – oft unbemerkt – verschieben. Gegenläufige Informationen und Meinungsbilder werden dann nicht mehr rezipiert.

Das wiederum macht es den Anbietern von vermeintlichen Nachrichtenseiten – also den Autoren von Gerüchten – leichter, Verleumdung, üble Nachrede, inszenierte Skandale, Diskreditierungen und Diffamierungen bestimmter Personen bis zur breit angelegten Desinformierung der Öffentlichkeit abzusetzen. Das Internet vergisst nichts, und Google-Einträge mutieren zu „Tätowierungen des Internets“, denn „[e]inmal eingeritzt, lassen sie sich nur schwer entfernen.“

Alles Fake – Was tun?

Der Verbreitung von Gerüchten sind Grenzen gesetzt, wenn das Thema, unabhängig von seinem Wahrheitsgehalt, für den Rezipienten nicht plausibel erscheint. Damit ist der Leser eine zentrale Variable: Der Rezipient bestimmt, was er für wahr und teilungswürdig hält und was nicht. Der Bildungsgrad des Einzelnen und in der Summe der Gesellschaft ist damit ebenso relevant wie die Medienkompetenz und das damit einhergehende Wissen über die Risiken des Netzes. Teilweise sind Falschmeldungen jedoch so gut gemacht, dass es selbst dem kompetenten Mediennutzer schwer fällt, Wahrheit und Fake zu unterscheiden.

Hier greifen dann womöglich andere Instrumentarien wie eine von der Politik geforderte Rechtsschutzstelle als zentraler Anlauf bei Fakes wie auch bei Hassrede, eine „Anti-Fake-News-Einheit“ der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten oder eine Zusammenarbeit des Recherchenetzwerkes Correctiv mit der Social-Plattform Facebook, die besonders zur Verbreitung von Fake News genutzt wird. Correctiv schreibt: „Fake News - gerade bei Facebook - sind schon jetzt eine der großen Bedrohungen unserer Gesellschaft. Das ist klar. Und wir befürchten, dass diese Bedrohungen in den kommenden Monaten noch massiver werden. Sei es bei der NRW-Wahl oder bei der Wahl zum nächsten Bundestag im Herbst. Aus diesem Grund sind wir entschlossen, so viel wie möglich zu tun, um Fake News zu bekämpfen. Unsere Demokratie darf nicht von Lügen und Lügnern missbraucht werden.“

Fazit und Ausblick

Fake News gab es schon immer. Früher hießen sie Gerüchte. Das Problem heute ist ein US-Präsident, der sie sanktioniert.

Eklatante, gezielt gestreute Falschmeldungen haben auch in der Vergangenheit schon sicher geglaubte Wahlen beeinflusst. Privatleute wie Politiker wurden immer wieder ohne eigene Schuld diffamiert und durch Lügen in die Skandalecke gedrängt. Latenter Hass auf „die Anderen“ wurde durch gezielte Halbwahrheiten weiter geschürt.

Es gibt Gegenmittel: Bildung und Medienkompetenz, die kartellrechtlich untermauerte Praxis der Pressefreiheit, die den Raum für Meinungsvielfalt und kritische Berichterstattung schützt, das Recht auf Gegendarstellung. Nur müssen diese Mittel angewandt werden – das ist durch neue Technologien und ihre mächtigen Anbieter nicht leichter, sondern schwerer geworden.

Hier werden aber auch neue Methoden möglich, von der Zusammenarbeit von Unternehmen mit Recherchenetzwerken über Selbstverpflichtungen der Medien und Plattformbetreiber bis hin zu politisch geforderten Rechtsschutzstellen.

Und diese Mittel müssen geschützt und verteidigt werden. Im demokratischen Staat ist das die Aufgabe der Verfassungsorgane und damit letztlich des Staatschefs. Aber wenn mit Donald Trump ein Präsident im Weißen Haus sitzt, der sogar sagt, dass ihn die Wahrheit wenig interessiert, dann haben wir es in der Tat mit einer neuen Situation zu tun; Fake News sind dann unser geringstes Problem.

Grundsätzlich sind die genannten Maßnahmen gegen Fake News ohnehin nur Zusatzmaßnahmen – im Mittelpunkt steht der mündige und gebildete Bürger im Netz, der sich Kraft seiner Intelligenz und Kompetenz der Risiken im Netz bewusst wird und sich erhobenen Hauptes aus der eigenen Filterblase erhebt und deren Inhalte hinterfragt.

Denn jede Fake News ist nur so gut wie der, der sie glaubt.

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