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Das Anwärmen der Triebwerke – Warum gute Science-Fiction viel wert sein kann

Wenn Adam Savage, in Deutschland als populärwissenschaftlicher Mythbuster bekannt, sich als „Superfan“ einer Science Fiction-Serie beschreibt, dann kann das vieles bedeuten. Außerhalb von Sponsoring oder Geschmacksverirrung hat er vielleicht nur den richtigen Riecher, wenn er sagt, dass es sich bei der Serie „The Expanse“ um die Avantgarde einer Renaissance des Science-Fiction-Genres handelt.

„The Expanse“ ist als Fernsehserie ziemlich beeindruckend. Aber wenn man wirklich wissen will, was dran ist, sollte man sich an die zugrundeliegenden Bücher halten. Geschrieben von einem Autorenduo unter dem Künstlernamen James S. A. Corey, enthalten sie hochverdichtet ökonomischen, politischen und wissenschaftlichen Sachverstand zu Staaten, Gruppierungen und gesellschaftlichen Verhältnissen, die in dieser Form gar nicht existieren. Wie ist das möglich?

„The Expanse“ war ursprünglich als Computer-Strategie-Spiel im Weltraum gedacht, von daher die unglaubliche inhaltliche Dichte, die von möglichen Raumschiffantrieben bis zu Verteilungskämpfen um zentrale Ressourcen wie Wasser, Luft und Nahrung so ziemlich alles umfasst. Selbstverständlich bedient sich die Serie der ganzen Bandbreite der typischen Special-Effects-Trickkiste: Raumschlachten, künstliche Intelligenzen, möglicherweise von Aliens konstruierte Biowaffen und natürlich Szenen in der Schwerelosigkeit. Aber selbst diese actiongeladenen Szenen und die Darstellung von Schwerkraft werden von Physikern als realistisch gelobt.

Der Erfolg von „The Expanse“ ist kein Einzelfall. Ein anderes Beispiel ist Becky Chambers, die mit ihren Romanen noch weiter ausgreift und detailverliebt die Chancen und Risiken galaktischer Multikulturalität auslotet. Ebenso beachtlich: Chniesische und chinesischstämmige Autoren wie Ted Chiang, Ken Liu und Liu Cixin bringen ihre eigene, faszinierende Perspektive in die Science Fiction ein. Kluge Kinofilme wie „Ex Machina“ und „Arrival“ tun ein Übriges. Was bedeutet es, dass politisch, ökonomisch, physikalisch und militärisch derart ausgebuffte SciFi-Fortsetzungsgeschichten plötzlich wieder mehr Zuspruch finden?

Seit dem Beginn des Genres kann eine Erhöhung der Betriebstemperatur in der Science-Fiction gut mit technologisch-gesellschaftlichen Verschiebungen in Verbindung gebracht werden. Zum Beispiel der naive, zukunftsfreudige Fortschrittsglaube der 1920er Jahre, als die Science-Fiction überhaupt entstand, mit der Durchsetzung von Radio, Flugverkehr und anderen technologischen Neuerungen. Die psychedelischen Verwirrungen der New Wave (1960er) mit Hippiekultur, Drogenexperimenten und der Eröffnung des „inner space“ (im Gegensatz zum „outer space“). Die düstere Technologiebegeisterung des Cyberpunks (1980er) mit den verwirrenden Aussichten auf High-Tech in den Händen von Privatpersonen. Ein Innovationsschub übrigens, von dem wir heute noch zehren: Der Begriff „Cyberspace“ ist eine Erfindung des Science-Fiction-Autors William Gibson.

Was nützt uns nun aber gute Science-Fiction, wenn sie doch bei aller Science weiter Fiction bleibt? Sie kann uns helfen, durch Welten, die sich mit einer angeblichen Zukunft beschäftigen, die Gegenwart besser zu verstehen. Leserinnen und Leser, die mit Science-Fiction befasst sind, können in vielen Fällen mit aktuellen Entwicklungen mehr anfangen als Menschen, die sich noch nie mit dem Genre befasst haben. 

Wenn heutzutage japanische Versicherungskonzerne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch das KI-System „Watson“ von IBM ersetzen, dann wirft das Fragen auf, die Science-Fiction-Leser in leichter Übertreibung schon für beantwortet halten. Das Gleiche kann für die Anwendung der KI in der Rechtsprechung gelten oder auch für Erwägungen zu der Frage, wer denn eigentlich im Fall des Falles für Fehlleistungen von autonomen Systemen haftet. Gerade was die ethische Dimension angeht, ist die Beschäftigung mit imaginären Szenarien nützlich, bevor die entsprechenden Technologien massentauglich oder auch nur möglich werden. Zur Auseinandersetzung mit der Frage, ob uns künstliche Intelligenzen gefährlich werden können, hat „Ex machina“ eine Menge kluger Gedanken und Bilder zu bieten.

Auch das Durchspielen geopolitischer Konstellationen ist möglich: Können gesellschaftliche Sezessions- und Spaltungsbewegungen wie der Brexit zu globalen Verwerfungen und Krieg führen? Man sehe sich zu diesem Thema die Rebellion der Outer Planets Alliance (OPA) in „The Expanse“ an. Wie würde eine UNO als effektive Weltregierung aussehen, wenn sie zudem noch den besiedelten Mond verwaltet? Die Serie hat eine ziemlich klare Vorstellung davon.

Aber was ist mit tatsächlichen wissenschaftlichen oder technologischen Durchbrüchen? Auch hier kann Science-Fiction vordenken. Der Abbau von Ressourcen auf Asteroiden, ein zentrales Thema in „The Expanse“, ist nicht weit von der Wirklichkeit entfernt. Mit vernünftiger finanzieller Förderung entsprechender Programme wäre ein Durchbruch bereits in den nächsten zehn Jahren denkbar. Hier zeigt sich auch: Mit einem Bewusstsein über die fiktiven Möglichkeiten einer zukünftigen Welt steigt auch das Interesse an Wissenschaft und den tatsächlichen Möglichkeiten der zukünftigen Welt. Edwin Hubble, einer der größten Astronomen des 20. Jahrhunderts, wurde vor allem von Jules Vernes Erzählungen dazu inspiriert, überhaupt erst Wissenschaftler zu werden. Sci-Fi kann auch die finanzielle Förderung entsprechender Projekte attraktiver machen. Die Frage danach, ob Weltraummissionen ihr Geld im Angesicht ernster Probleme auf der Welt wert sind, wird viel diskutiert und bleibt spannend.

Neue Technologien wie die näherrückende Ankunft der Exascale-Computer machen Fragen zur künstlichen Intelligenz drängender. Wir leben nunmal in einer Welt, in der der Ausruf „Aber das ist doch Science Fiction!“ immer häufiger auf die Entgegnung trifft: „Kann schon sein, aber es geschieht auch gerade in der Wirklichkeit.“

Warum sollten wir uns als vorausschauende Menschen also mit „The Expanse“ beschäftigen? Ist die Buch- und Fernsehserie eine 1:1-Vorhersage der anstehenden Kolonisierung des Sonnensystems? Sicher nicht. Science-Fiction kann genauso wenig etwas vorhersagen wie der handelsübliche Wahrsager mit seiner Kristallkugel. Der Wert von „The Expanse“ wie aller anderen guten Science-Fiction liegt in der mentalen Gymnastik. Gute Science-Fiction entwirft Möglichkeitsräume, in denen sehr vieles möglich ist, und füllt diese Räume mit Erzählungen zu Lösungen und Warnungen. Je packender diese Erzählungen sind, desto schneller besitzt man ein Repertoire an Lösungen und Warnungen, die sich auf die Herausforderungen der eigenen Gegenwart anwenden lassen können.

Zur Person: Marcus Hammerschmitt ist Schriftsteller, Journalist und Fotograf. Bisher achtzehn veröffentlichte Bücher, drei bei Suhrkamp, eines bei Aufbau, vier bei Patmos/Sauerländer, andere woanders, dazu Hunderte von Artikeln in den verschiedensten Publikationen, z. B. c’t, taz, Telepolis, GDI Impuls (Schweiz), ORF FutureZone (Österreich).

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